Informationen, Konzepte und Materialien zum Interkulturellen Musikunterricht

Abstract: Worum geht es hier eigentlich?

Ziele und Inhalte

Das allgemeine Ziel der IME (das heißt der interkulturellen Musikerziehung im Unterricht an allgemeinbildenden Schulen) wird abgeleitet aus einem allgemeinen Ziel pädagogischen Handelns. Es lautet: Die aktive, bewusste, selbstbestimmte und sozial verantwortete Lebensfähigkeit im multikulturellen Deutschland. Musikspezifisch ausgedrückt: Ziel der IME ist die Schüler/innen zu befähigen, aktiv, bewusst, selbstbestimmt und sozial in der multikulturellen Migrationsgesellschaft und einer globalisierten Welt musikalisch tätig zu sein. Mit "multikultureller Migrationsgesellschaft" bezeichnen wir den Zustand der BRD und kein gesellschaftspolitisches Programm.

Dies Ziel kann auf unterschiedliche Weise ausgedrückt werden, z.B. mit Worten von Dorothee Barth: "Die IME bereitet auf eine mündige Teilhabe und eine aktive Gestaltung des vielfältigen Musiklebens in Deutschland vor [= musikspezifisches Ziel] und aktiviert so exemplarisch zu mündiger Teilhabe an und aktiver Gestaltung unserer multikulturellen Gesellschaft [= Beitrag zum allgemeinen Ziel]" . - Bemerkung: "bewusst und selbstbestimmt" steckt in dem m.E. etwas abgenutzten Attribut "mündig", und "musikalische Tätigkeit" umfasst als ein Ausdruck für die aktive Aneignung von Welt sowohl die passive "Teilhabe" als auch die aktive "Gestaltung".

Ein Mittel dies Ziel zu erreichen ist die erfahrungsorientierte (d.h. schüler- und handlungsorientierte) Aneignung jener Musik, die nicht selbstverständlich, die also experimentell, anstößig, andersartig, schwierig oder schlicht unbekannt ist, kurz gesagt ein Unterricht, der das 2005 von der UNESCO formulierte Prinzip "Kultureller Vielfalt" Ernst nimmt. Dies impliziert die Auseinandersetzung mit den jeweiligen kulturellen Kontexten, denen Musik bzw. musikalische Praxis entstammt. In der multikulturellen Migrationsgesellschaft sind diese Kontexte vielfältig. Daher eignen sich als Inhalte der IME ganz besonders die Musiken der Welt in der Art und Weise, wie diese in der BRD vorhanden sind.

Fazit:
die Thematisierung der Musiken der Welt erfolgt in der IME aus einer "migrationspädagogischen Perspektive". IME ist heute (2024) nicht einfach nur die allgemeine Lehre vom Unterrichten "fremder Inhalte". Sie ist vielmehr Musikerziehung für die multikulturelle Migrationsgesellschaft. Dass diese Aufgabe überhaupt als spezifisches Konzept mit einer eigenen Bezeichnung "IME" versehen wird, hat in Deutschland historische Gründe. Eigentlich müsste jeder schülerorientierte Unterricht diese Aufgabe automatisch erfüllen. Aber es hat sich als gut erwiesen, bisweilen durch eine extra Bezeichnung nochmals auf diese Aufgabe explizit hinzuweisen.

Prämissen der Methode

Die Musiken der Welt dienen der IME als "Projektionsflächen", wie die folgenden drei Prämissen erläutern:

Grundlegende Prämisse 1 des methodischen Vorgehens ist die konstruktivistische Einsicht, dass die Schüler/innen im Unterricht die Bedeutung, die Musik hat, innerhalb eines pädagogisch inszenierten Rahmens selbst konstruieren. Dieser Konstruktionsvorgang wird mit "Musik verstehen" bezeichnet. Der von der Lehrer/in hergestellte pädagogische Rahmen (modern ausgedrückt "das Setting") hängt v om jeweiligen Inhalt, zum Beispiel der jeweiligen Musik der Welt bzw. der spezifischen musikalischen Tätigkei, ab, die thematisiert wird. Die Prämisse impliziert auch den "bedeutungsorientierten" Kulturbegriff, der besagt, dass "Kultur" von den jeweiligen Menschen konstruiert bzw. die Bedeutung von Kultur nicht von den Kultursministerien oder Opernintendanten sondern von den Bürger/innen und dem Publikum "gemacht" wird.

Grundlegende Prämisse 2 ist, dass nicht "die Musik" an sich sondern der musikalisch tätige Mensch das pädagogisch Wichtigste an den Musiken der Welt ist. Mit anderen Worten, nicht auf die Töne, Rhythmen, Instrumente und Tanzschritte allein, sondern auf den kulturellen Kontext der musikalischen Praxis kommt es an. Der Unterricht ist somit "kulturerschließend" und kein "aufbauender Unterricht" (AMU). Dabei kann selbstverständlich auch aufbauend "step by step" gearbeitet werden, entscheidend ist jedoch, dass die Ziele und Inhalte des Unterrichts nicht aus der immanenten Struktur der Musik oder neurologischer Transfereffekte (wie der Vermehrung synaptischer Verbindungen im Gehirn) abgeleitet werden.

Grundlegende Prämisse 3 ist, dass die Bedeutungskonstruktion durch die Schüler/innen und somit das Verstehen von Musik in einer Art Rollenspiel stattfindet, wobei die Rollen und das Setting durch den kulturellen Kontext der Musik gegeben sind. Die Besonderheit dieses Rollenspiels ist, dass die Schüler/innen ihre eigene Bedeutungskonstruktion entlang der fremden Musik(kultur) vornehmen und in der Klasse nach bestimmten Regeln kommunizieren. "Rolle" wird hier in einem weiteren Sinn als dem des szenischen Rollenspiels verstanden: Rolle ist eine Lernhaltung, in der Schüler/innen mit etwas Neuem, Unbekanntem und Fremdem auf ihre persönliche Weise umgehen. Sie fühlen sich dabei einerseits (zum Beispiel musizierend) in das Fremde ein und spüren und wissen andererseits, dass sie das Fremde nicht selbst sind. Dieser Doppelcharakter der Rollen-Haltung schützt den interkulturellen Unterricht vor Formen der kulturellen Aneignung.

Idealtypisches Vorgehen im Unterricht ("erweiterter Schnittstellenansatz")

Die auf der vorliegenden Internetplattform vorgestellten Unterrichtsmaterialien gehen folgendermaßen vor:

  1. Einstieg/Einfühlung (Warm-Up) ist "archetypisch" mit einer "Basiserfahrung", also nicht kulturspezifisch. Dies ist die oft (fälschlicherweise) sogenannte Schnittstelle.
  2. "Analoge" Erarbeitung einer Situation, in der Musik gemacht oder mit Musik umgegangen wird (z.B. durch szenisches Spiel), also nicht blindes Musizieren mit einer sich anschließenden "Aufarbeitung".
  3. Reflexion des Rollenspielcharakters der analogen Erarbeitung mittels zusätzlicher Information, also keine Täuschung über die kulturelle Distanz und keine Exotik. (Bei einer "szenischen Interpretation" findet diese Reflexion im Rahmen des szenischen Spiels statt.)
  4. Motivation zur "digitalen" Weiterentwicklung und inhaltlichen Erweiterung des Bisherigen durch "professionelle Stimulation".
  5. Übungs- und Arbeitsphase mit dem Ziel eines optimierten und selbstbestimmten Spielens "im Schutz der Rolle".
  6. Entweder erneute Reflexion (Punkt 3) oder Abschlussveröffentlichung (kann eine Aufführung sein, kann aber auch andere Formen annehmen, z.B. eine multimediale).

Zu einem exemplarischen Workshop (mit Videobeispielen).