Informationen, Konzepte und Materialien zum Interkulturellen Musikunterricht

"There must be another way"

Israel und Palästina nach dem 7. Oktober 2023

Singen und musizieren in Kriegszeiten? Das fällt schwer - und ist doch nötig! Zwei mutige Frauen aus Israel mit palästinensichen und orientalischen Wurzeln haben während des Gazakriegs 2009 in Moskau beim Eurovisions-Contest ein Lied gesungen, das mehr als nur ein musikalischer Beitrag Israels zum Eurovisions-Wettbewerb war. Es war ein politisches Manifest: There must be another way!
Und am 20. Dezember 2023 haben dieselben Musikerinnen in der Berliner Philharmonie bei einem Konzert "Gemeinsam für Menschlichkeit" diesen alten Song wieder gesungen. (Diesmal weniger pompös, weil es nichts zu gewinnen gab: mit einer einfachen Gitarrenbegleitung.) Sie haben gezeigt und in verschiedenen Interviews gesagt, dass auch zu Zeiten der heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis in der Geschichte Israels die Hoffnung nicht sterben darf. Sollte das nicht ein Anlass sein, im Musikunterricht zu singen?

Zu diesem Lied erschien auch ein Artikel (mit weiteren Anregungen zum Klassenmusizieren) in "Praxis des Musikunterrichts" 1/2024, Nr. 158, S. 38-45, im Lugert-Verlag.

"There must be another way" im Eurovisions-Contest 2009

Die beiden Künstlerinnen:

Berlin 2023. Links: Achinoam Nini ("Noa"), jemenitische Jüdin, 1969 in Tel Aviv geboren. International gefeierte israelische Sängerin. Homepage
Rechts: Mira Awad, israelische Palästinensierin, in einem palästinensischen Dorf in Israel geboren, wurde in Israel erst anerkannt, nachdem sie im Duo mit Noa aufgetreten ist.Homepage.
Abbildung: Screenshot vom Video des Auftritts in Berlin am 20.12.2023.

"Unpolitisch waren die ESC-Beiträge aus Israel bisher nur sehr selten, meist handelten die Titel von dem Wunsch nach Frieden und Versöhnung. Dass dieses Thema vielen Israelis unter den Nägeln brennt, ist angesichts des täglichen Terrors zwischen Juden und Palästinensern in dem nahöstlichen Land nur allzu verständlich. Doch diesmal wollte der israelische TV-Sender IBA offenbar ein besonders deutliches Zeichen setzen und schickte mit Noa & Mira Awad erstmals ein jüdisch-arabisches Duo in den Kampf um Länderpunkte.
Der Titel "There Must Be Another Way" mag nicht sehr originell klingen, ist aber angesichts des nicht enden wollenden Konfliktes zwischen Juden und Arabern schon ein deutliches Statement. Kein Wunder also, dass Staatspräsident Shimon Peres persönlich dem Duo nach der Wahl ihres Songs für Moskau dankte und ihren Einsatz für den Frieden in Israel lobte.""
("Das erste" am 16.5.2009, 21.00 Uhr.)

Liest man diesen Kommentar aus dem Jahr 2009, dann hat man den Eindruck, die Zeit scheint still zu stehen.

Prompt gab es Stimmen aus Israel und Palästina, die den Sängerinnen vorwarfen, die Lebensrealität der Palästinenser und der Israelis schön reden zu wollen, unrealistisch und zu optimistisch zu sein.
Mira Awad erwidert auf diesen Vorwurf in einem Interview am 5. September 2009: Unser Song ist kein Friedenslied. Das muss ich korrigieren. Ich singe nicht oh, hallo, Schalom, Salaam, Peace, Friede, bitte lasst uns alle einander lieben, Friede soll siegen, nein! Ich sage stattdessen: schau auf unsere Nachbarn als menschliche Geschöpfe und erinnere dich daran, dass es menschliche Geschöpfe sind. Das ist alles. Das ist alles. Du musst dies menschliche Geschöpf nicht unbedingt lieben. Du musst es nicht unbedingt zu deinem Freund oder Partner machen. Aber, du musst respektieren, dass es ein Recht hat zu leben. Das ist’s. (Quelle des Zitats).


"There must be another way": der Song selbst

THERE MUST BE ANOTHER WAY

עינייך אחות - your eyes, sister -
כל מה שליבי מבקש אומרות - say all my heart desires -
עברנו עד כה - so far we have gone -
דרך ארוכה דרך כה קשה - a long way, a very difficult way -
יד ביד - hand in hand -
והדמעות זולגות זורמות לשוא - and tears fall, pour in vain -
כאב ללא שם - a pain with no name -
אנחנו מחכות - we are both waiting -
רק ליום שיבוא אחרי ... - for the day to come -

There must be another way
There must be another way

عينيك بتقول - your eyes say -
راح ييجي يوم وكل الخوف يزول - one day will come, when all fear shall vanish -
بعينيك اصرار - in your eyes there is determination -
انه عنا خيار نكمل هالمسار - that we have a choice, to continue this journey -
مهما طال - for as long as it takes -
لانه ما في عنوان وحيد للاحزان - for there is not one sole address to sorrow -
بنادي للمدى, للسما العنيده - I cry to the open plains, to the merciless sky -

There must be another way
There must be another way
There must be another, must be another way

דרך ארוכה נעבור, - we will go a long way, a very difficult way -
דרך כה קשה, יחד אל האור, - together to the light… -
عينيك بتقول , - your eyes say -
كل الخوف يزول - all the fear will vanish -
And when I cry I cry for both of us
My pain has no name
And when I cry I cry to the merciless sky and say
There must be another way
והדמעות זולגות זורמות לשוא - and the tears fall, pour in vain -
כאב ללא שם - a pain with no name -
אנחנו מחכות - we are waiting -
רק ליום שיבוא אחרי - only for the day to come -

There must be another way
There must be another way
There must be another, must be another way

Material (Noten) für den Schulgebrauch:

Arrangement für 3 beliebige Melodieinstrumente, Bass und Klavier/Akkordeon:

Ein weiteres Arrangement für Flöte, Klarinette, Geige, Bass, Akkordeon (von Christoph Dane):

Im Zentrum des Liedes steht der Refrain "There must be another way", den man - zum Einstieg - als Chorsatz singen kann:

Chorfassung des Refrains (Anfang und Schluss).

Relativ einfach zu singen ist die englische Anfangsstrophe, die Noa und Miram in Berlin 2023 gesungen haben:


"There must be another way" in Berlin am 20.12.2023

Ansage von Noa und Mira im Konzert:
As peace activists we were often called naive. But the alternative to peace is the hell that we are living nowadays. As artists, we embrace complexity. It is the essebce of art and life itself. Our role is to present a vision of a better future and invite you all to join us. The symbolism of us performing today in Berlin should prove to any skeptic that even the bloodiest conflicts can come to a resolution. There must be another way.

"Berliner Version" (Anfang):
Oh sister, your eyes
tell Me.
All my heart needs to know.
Oh sister, so dear,
You and I are here raising up a voice that is clear
and when I cry, I cry for both of us.
My pain has no name,
And when I cry, I cry
to the merciless sky and say:
There must be another way, there must be another way!

Berliner Version (Anfang) Noten als pdf (siehe auch oben).


Berliner Version (Anfang) als mp3.


Studioaufnahme der "Berliner Version".

Noa am 19.12.2023 zu "El País"

What Hamas did was a terrible act of human cruelty. It didn’t do anyone any good – not the Palestinian people, and certainly not the Israelis. It’s devastating. Look at the death toll. If I could I would stop the war already tomorrow, it’s getting us nowhere. There are certainly many solutions to this problem other than dropping more and more bombs. We are creative people, maybe we need more women to contribute better and more peaceful ideas.

If I were prime minister, I would have made peace with the Palestinians a long time ago. Both sides bear a lot of responsibility for the failure, but I am Israeli, so I take responsibility for my side. We must be brave, find a solution and move forward.

... und Mira ergänzt: In 2009 I was hoping to open a door but nothing changed. I was highly motivated, even to sacrifice myself to bring about any change. It was a very difficult time and a very complicated environment for the representation of Israel. But I went through it because I thought that maybe a path of change would start from me.
(Quelle des Zitats.)

Mira am 17. 10. 2023

“There is also no contradiction in standing with the right of the Palestinian people for freedom, safety and peace, while condemning the heinous actions of Hamas,” Awad wrote, saying she stands “in solidarity with people on both sides. They are humans just like you.” She added that she hopes people will be critical of the leaders who have lead them to this situation and that they can “choose long term solutions instead of snappy slogans.” Idealistic calls for peace and solidarity, like the ones found in these songs, may feel disconnected from the messy, polarizing reality of the current situation and the deep bleeding wound we feel. And yet veterans of this pain and activism remind us that it’s possible to find our humanity at the darkest of times. I don’t think it’s a bad idea — in fact, I think it might be the best idea — to try our best to be a candle in this polarizing darkness for all.
(Quelle des Zitats.)

Noa äußert sich am 10. Oktober 2023 zur Situation in Israel. Eine in Deutschland als "antisemitisch" verbotene Parole ("from the river to the sea") verwendet sie in einer neuen Bedeutung: "I choose rights for everybody, from the river to the sea and everywhere".


Warum nicht konsequentes "Multikulti im Nahen Osten"?

Im Jahr 2021 habe ich einige Male einen Vortrag gehalten, mit dem ich auf die vielen musikalischen Initiativen aufmerksam machen wollte, die darauf hindeuten, dass ein friedliches Zusammenleben von Palästinenser*innen und Israelis (egal ob Juden, Christen, Atheisten, Moslems und so weiter) möglich ist. In diesem Vortrag kommen Mira und Nao mit ihrem Song "There must be another way" gar nicht vor. Die Musikbeispiele ergänzen jedoch sehr genau das, was auf der vorliegenden Seite erörtert wird. Ich verschweige im Vortrag meine Skepsis gegenüber der Zweistaatenlösung nicht: sie ist vielleicht momentan ein Stachel im Fleisch aller Menschen, die sich Frieden nur zwischen "Nationen" vorstellen können. Ich meine jedoch, dass zwei Staaten auf diesem kleinen Terrain zwischen "river an the sea" nur eine Zwischenlösung, ein Übergangsphänomen sein können zu einem Zustand konsequenter Multikuturalität, der einen qualitativen Lernprozess auf beiden Seiten - den Palästinenser*innen und den Israelis - voraussetzt.

Die die Idee eines "multikulturellen Palästina" wird auch nach dem 7. Oktober in Israel wieder diskutiert. Anfang 2024 ist ein Buch mit dem Titel "Two people for one State? Rereading the history of Zionism" ["Deux peuples pour un État ? Relire l'histoire du sionisme"] von Shlomo Sand, einem israelischen Historiker, erschienen. Es referiert die Utopie eines "binationalen Israel" als Konzept des Zionismus. Das Buch gibt es momentan nur auf hebräisch und französisch. Im französischen Klappentext heißt es: Mit der Machtübernahme der extremen Rechten in Israel, den Massakern der Hamas und den Bombenanschlägen auf den Gazastreifen ist die Frage eines binationalen Staates zu einem Notfall für die gesamte Region geworden. Ihm den Rücken zu kehren wird nichts ändern. Binationalismus ist nicht nur Wunschdenken, sondern auch gegenwärtige Realität: 7,5 Millionen jüdische Israelis dominieren durch eine Politik der Verdrängung, Vertreibung, Unterdrückung und Gefangenschaft ein palästinensisch-arabisches Volk von 7,5 Millionen Menschen, von denen ein großer Teil benachteiligt und der Bürgerrechte und grundlegender politischer Freiheiten beraubt ist. Es ist offensichtlich, dass eine solche Situation nicht ewig andauern kann. Für Sand ist die Zweistaatenlösung nur ein Übergangsphänomen zur Binationalität. - Rezension des Buches auf Englisch HIER.